
Vielleicht hast du es in den letzten Monaten selbst erlebt: In Foren wird gewarnt, auf Treffen erzählen alle irgendetwas anderes, und in manchen YouTube-Videos klingt es so, als wäre der ECE-22.05-Helm ab 2024 quasi eine verbotene Waffe. Da ist von „Polizei zieht alles unter 22.06 sofort aus dem Verkehr“ die Rede, von angeblichen Großkontrollen auf beliebten Strecken und sogar von der Behauptung, Versicherungen würden nach einem Unfall nicht mehr zahlen, wenn du noch mit 22.05 unterwegs bist. Das Ergebnis: Viele Biker stehen ratlos vor dem Helmregal oder vorm eigenen Spiegelschrank und fragen sich, ob sie ihren erst drei Jahre alten Lieblingshelm jetzt ernsthaft entsorgen sollen.
Die Wahrheit ist deutlich unspektakulärer – und vor allem entspannter. Ja, die neue ECE 22.06 ist seit 2024 der aktuelle Standard für die Typprüfung und Neuzulassung von Helmen. Ja, Hersteller dürfen neue Modelle nur noch nach dieser Norm auf den Markt bringen. Aber nein, niemand nimmt dir deinen alten Shoei, HJC oder Schuberth aus der Hand, solange er technisch in Ordnung ist. Die Regelung zielt auf Produktion und Verkauf ab, nicht auf die Nutzung bereits zugelassener Helme. Genau an dieser Stelle entstehen die meisten Missverständnisse: aus halbgaren Infos, Werbeaussagen und vorschnellen Schlussfolgerungen. In diesem Artikel räumen wir das sauber auf – Schritt für Schritt, faktenbasiert und ohne Panik. Vorweg nur so viel: Du musst deinen 22.05-Helm nicht wegwerfen, aber es gibt gute Gründe, das Thema Helmwechsel in den nächsten Jahren bewusst im Hinterkopf zu behalten.
Beginnen wir mit der Frage, die wahrscheinlich 90 Prozent der Unsicherheit auslöst – und gleichzeitig am einfachsten zu beantworten ist: Ja, du darfst deinen ECE-22.05-Helm weiterhin ohne jede Einschränkung fahren. Heute, 2024, 2025, 2026 – und voraussichtlich noch viele Jahre darüber hinaus. Es gibt kein Ablaufdatum, keine Übergangsfrist und kein „stilles Verbot“, das nur Eingeweihte kennen. Wenn in Foren etwas anderes behauptet wird, hat das mit Rechtsprechung wenig zu tun und viel mit Hörensagen.
Weder Deutschland noch Österreich oder die Schweiz haben ein Nutzungsverbot ausgesprochen. Und das ist kein Zufall. Motorradhelme fallen unter Produkte, die beim Kauf eine gültige Zulassung haben und deshalb vom Gesetzgeber Bestandsschutz genießen. Dieser Bestandsschutz bedeutet: Was einmal legal verkauft und zugelassen wurde, darf auch weiterhin genutzt werden – solange es technisch sicher ist. Der Staat kann dir also nicht rückwirkend vorschreiben, deinen Helm auszutauschen, nur weil eine neue Prüfnorm eingeführt wurde. Das wäre juristisch nicht haltbar und politisch unsinnig.
Entscheidend ist § 21a StVO, der klar formuliert: Du musst beim Motorradfahren einen „geeigneten“ Helm tragen. Das Wort „geeignet“ ist hier bewusst weit gefasst. Es bedeutet nicht „der neuste Standard“, sondern „funktionstüchtig und bestimmungsgemäß verwendbar“. Ein Helm nach ECE 22.05 erfüllt diese Vorgabe weiterhin vollkommen. Die Polizei prüft in einer Kontrolle daher keine Normnummer, sondern den Zustand:
– Ist der Kinnriemen intakt?
– Ist das Visier bruchsicher und ohne gefährliche Kratzer?
– Gibt es äußere Beschädigungen, Risse, lose Teile?
Wenn diese Punkte passen, spielt die Prüfnummer keine Rolle.
Viele Fahrer übersehen zudem, dass die Änderung von 22.05 auf 22.06 ausschließlich die Typprüfung und den Verkauf neuer Modelle betrifft, nicht aber die Nutzung im Straßenverkehr. Hersteller müssen ihre neuen Helme nach 22.06 zertifizieren lassen; Händler dürfen keine 22.05-Neuware mehr in den Verkehr bringen. Das hat aber nichts mit dir zu tun, solange dein Helm bereits gekauft wurde. Der Übergang ist also ein industrieller, kein privater.
Kurz gesagt: Dein 22.05-Helm bleibt legal, anerkannt und nutzbar. Ein echter Grund zum Austausch entsteht erst dann, wenn Materialalterung, Verschleiß oder ein Sturz die Schutzwirkung beeinträchtigen – nicht, weil eine neue Norm erschienen ist.
Die Einführung der ECE 22.06 ist kein bürokratischer Selbstzweck, sondern das Ergebnis jahrzehntelanger Unfallforschung. Viele Erkenntnisse, die Forscher und Unfallanalysten seit Jahren diskutieren, wurden nun erstmals verbindlich in ein Testverfahren übernommen. Der größte Unterschied liegt darin, dass Helme nicht mehr nur auf klassische, gerade Aufprallenergie geprüft werden, sondern auf das, was in der Realität am häufigsten passiert: schräge, rotierende Stöße. Diese Rotationskräfte entstehen praktisch in jedem Sturz – etwa wenn der Helm seitlich über den Asphalt rutscht oder an einer Kante abgelenkt wird. Genau dabei entstehen die gefährlichsten Gehirnverletzungen, weil sich das Gehirn im Schädel kurzzeitig dreht und schert. Die alte 22.05 konnte diesen Mechanismus kaum abbilden. Die 22.06 tut es.
Dazu kommt die deutlich höhere Anzahl an Einschlagpunkten. Früher wussten Hersteller genau, wo der Prüfhaken ansetzt – und konnten die Schale an diesen Stellen gezielt verstärken. Der Rest des Helms blieb oft dünner. Die neue Norm zwingt zu einer durchgehend robusteren Konstruktion, weil der Prüfkörper jetzt 18 unterschiedliche Aufprallpunkte nutzen kann, darunter zufällige und vorher nicht bekannte Positionen. Das sorgt für einen Schutz, der nicht nur punktuell gut ist, sondern über die gesamte Schale hinweg wirkt.
Ein weiterer Fortschritt betrifft das Visier. Es muss jetzt einem Stahlprojektil standhalten, das mit 60 m/s auftrifft – ein Szenario, das realen Steinschlägen auf der Landstraße sehr nahekommt. Damit reduziert sich das Risiko, dass dir bei Tempo 100 ein Stein das Visier splittert und du im schlimmsten Moment plötzlich blind wirst.
Noch näher an der Realität ist ein zusätzlicher Punkt: Helme werden erstmals mit montierten Kommunikationssystemen getestet. Sena, Cardo und Co. sind längst Standard, aber bisher wurden sie nie in die Sicherheitsprüfung einbezogen. Die 22.06 stellt sicher, dass Halterungen, Lautsprecher und Module im Ernstfall nicht als harte Punktlasten wirken und zusätzliche Verletzungen verursachen.
Unterm Strich bedeutet das: Die neue Norm fühlt sich nicht einfach „strenger“ an – sie entspricht viel besser dem, was dir auf der Straße tatsächlich passieren kann. Sie ist eine Reaktion auf echte Unfallmechanismen, nicht auf Tabellen in Brüssel. Und genau dadurch entsteht der reale Sicherheitsgewinn, den viele Fahrer erst verstehen, wenn sie die Details kennen.
Im Handel läuft gerade ein klassisches Übergangsszenario ab, wie man es in der Motorradwelt schon oft gesehen hat: Eine alte Norm endet, eine neue beginnt – und die Regale müssen leer werden. Genau deshalb findest du aktuell in Shops wie Louis, Polo oder FC-Moto deutlich reduzierte 22.05-Modelle, von Mittelklasse bis Oberklasse. Manche Helme, die noch 2022 für 450 oder 500 Euro verkauft wurden, liegen heute für 220–260 Euro im Restpostenbereich. Für viele Fahrer ist das eine Chance, die es so schnell nicht wieder geben wird: hochwertige Materialien, gute Passform, bewährte Technik – nur eben nicht mehr nach der neuesten Norm zertifiziert.
Das bedeutet aber nicht, dass du mit einem 22.05-Helm eine schlechtere oder gar riskante Wahl triffst. Im Gegenteil: Einige der besten Helme der letzten zehn Jahre tragen diese Norm. Wenn du gerade knapp im Budget bist, wenn du ein bestimmtes Modell liebst oder wenn du dir einfach einen Ersatzhelm für längere Touren oder Mitfahrer zulegen möchtest, ist ein Restposten oft ein vernünftiger Schritt.
Auf der anderen Seite lohnt sich der Blick auf die 22.06-Modelle, wenn du gerne auf dem aktuellsten Stand der Sicherheitstechnologie fährst oder dein aktueller Helm ohnehin in Richtung Fünf- bis Sieben-Jahres-Grenze wandert. Die neuen Prüfkriterien, insbesondere im Bereich der Rotationskräfte, sind ein realer Fortschritt und kein Werbegag. Gerade wenn du viel in den Bergen, auf Landstraßen oder sportlich unterwegs bist, können diese modernen Schutzmechanismen den Unterschied machen.
Unter dem Strich entsteht kein Kaufzwang. Die Norm schreibt dir nichts vor – du kannst zwischen zwei sinnvollen Wegen wählen: einem sehr guten Schnäppchen oder einem Helm, der technisch den nächsten Schritt geht. Beides kann die richtige Entscheidung sein, je nachdem, wo du gerade stehst und was du von deiner Ausrüstung erwartest.
Die Diskussion um Normen sorgt oft für unnötige Nervosität, dabei ist die Norm fast nie der entscheidende Punkt für einen Helmwechsel. Was deinen Helm wirklich altern lässt, ist nicht die Zahl auf dem Etikett, sondern die Materialermüdung, die über die Jahre ganz automatisch einsetzt. Die EPS-Innenschale – der energieabsorbierende Schaum, der im Ernstfall deinen Kopf schützt – verliert mit der Zeit an Elastizität. Durch Wärmeeinwirkung, Schweiß, Sonneneinstrahlung und winzige Stöße wird der Schaum härter, spröder und damit weniger wirksam. Das passiert schleichend, ohne dass du es von außen erkennst.
Auch die Außenschale leidet. Besonders Polycarbonat, das bei günstigeren Helmen verbreitet ist, reagiert empfindlich auf UV-Licht und Temperaturschwankungen. Das Material kann mikroskopische Risse entwickeln oder an Festigkeit verlieren, selbst wenn der Helm oberflächlich noch glänzt wie am ersten Tag. Bei Verbundfasern und Carbon zeigt sich der Alterungsprozess langsamer, aber auch hier verändern Hitze, Schmutz und mechanische Belastungen langfristig die Struktur.
Deshalb gelten in der Branche klare Faustregeln: Rund fünf Jahre für Polycarbonat, etwa sieben Jahre für Verbund- oder Carbonhelme. Diese Werte sind keine Garantie, aber ein guter Orientierungsrahmen. Wenn dein Helm bereits die Acht-Jahres-Marke überschritten hat, liegt der Grund für einen Ersatz nicht in der Umstellung auf 22.06, sondern schlicht in den Grenzen der Materialwissenschaft. Ein alter, verhärteter Helm kann zwar äußerlich makellos aussehen, bietet aber im Ernstfall deutlich weniger Schutz als ein neuer Mittelklassehelm.
Darum lohnt sich ein ehrlicher Blick auf das Herstellungsdatum – meist auf dem Kinnriemen oder innen in der Polsterung zu finden. Die Normnummer sagt aus, wie der Helm getestet wurde. Das Alter sagt dir, wie gut er dich heute noch schützt.
Wo mehr Schutz verlangt wird, muss Material nachlegen – und genau das passiert bei der ECE 22.06. Die strengeren Prüfverfahren, insbesondere die zusätzlichen Einschlagpunkte und die Rotationsmessungen, zwingen Hersteller dazu, die Schalenstruktur robuster und die Dämpfungsschichten dichter auszulegen. Das Ergebnis ist kein dramatischer, aber ein spürbarer Gewichtszuwachs. Oft reden wir über 50 bis 100 Gramm, manchmal auch etwas mehr – Werte, die auf dem Produktblatt harmlos aussehen, aber im Alltag durchaus Unterschiede machen können.
Gerade auf langen Touren, bei viel Autobahnanteil oder wenn du sportlich unterwegs bist, merkst du jeden zusätzlichen Gramm-Schritt im Nacken. Ein Helm, der etwas schwerer wirkt, kann auf Dauer ermüden oder die Nackenmuskulatur stärker beanspruchen. Viele Fahrer, die von einem älteren 22.05-Modell kommen, berichten deshalb, dass ihr bisheriger Helm „luftiger“ oder „leichter tragbar“ war, selbst wenn die objektiven Zahlen sehr nah beieinanderliegen.
Das heißt nicht, dass 22.06-Helme unangenehm sind – im Gegenteil, viele moderne Modelle kompensieren das höhere Grundgewicht durch bessere Aerodynamik, ausgefeiltere Polsterung und optimierte Gewichtsverteilung. Aber es bleibt ein Faktor, den du in deine Kaufentscheidung einbeziehen solltest: Mehr Sicherheit hat manchmal ihren Preis, und im Fall der neuen Norm ist dieser Preis eben ein leicht höheres Gewicht.
Eines ist klar: Du musst deinen 22.05-Helm nicht panisch in die Tonne werfen. Er bleibt legal, voll nutzbar und wird von der Polizei genauso akzeptiert wie vor der Einführung der neuen Norm. Entscheidend ist sein Zustand – nicht die Zahl auf dem Etikett. Solange dein Helm weder beschädigt noch überaltert ist, erfüllt er weiterhin alle Anforderungen, die ein Motorradhelm im Straßenverkehr erfüllen muss.
Gleichzeitig lässt sich nicht leugnen, dass die ECE 22.06 echte Fortschritte bringt. Der verbesserte Schutz vor Rotationskräften, die gleichmäßigere Schalenstabilität und die strengeren Tests mit montierten Kommunikationssystemen sind keine reinen Werbebehauptungen, sondern klare Weiterentwicklungen aus der Unfallforschung. Wenn dein aktueller Helm also bereits fünf, sechs oder sieben Jahre auf dem Buckel hat, lohnt es sich, über ein Upgrade zumindest nachzudenken – nicht wegen der Norm, sondern wegen der Materialalterung, die bei jedem Helm unweigerlich einsetzt.
Falls du nachsehen willst, welchen Standard dein Helm trägt, reicht ein kurzer Blick auf den Kinnriemen: Die Zahl im Kreis verrät es dir. Steht dort eine „05“, kannst du weiterfahren, ohne schlechtes Gefühl. Aber vielleicht auch mit der leisen Überlegung, ob der nächste Helm dann doch ein Modell sein darf, das die neuesten Erkenntnisse in Sachen Sicherheit direkt mit an Bord hat.
Ist ein ECE-22.05-Helm in Deutschland, Österreich und der Schweiz weiterhin legal?
Ja. Die Nutzung von 22.05-Helmen bleibt vollständig erlaubt. Die neue ECE 22.06 betrifft nur die Typprüfung und den Verkauf neuer Modelle, nicht die Nutzung bereits gekaufter Helme. Solange dein Helm unbeschädigt und funktionstüchtig ist, gilt er gemäß § 21a StVO weiterhin als „geeignet“.
Könnte die Polizei meinen 22.05-Helm bei einer Kontrolle beanstanden?
Nein – nicht aufgrund der Normnummer. Die Polizei prüft den Zustand: Riemen, Schale, Visier, mechanische Funktion. Wenn alles intakt ist, gibt es keinen Grund für Beanstandungen. Es existiert kein Nutzungsverbot für 22.05 in DACH.
Was ist der größte Sicherheitsvorteil der neuen ECE 22.06?
Der bedeutendste Fortschritt betrifft den Schutz vor Rotationskräften, die bei realen Stürzen extrem häufig auftreten. Die neue Norm testet schräge Stöße, zusätzliche Einschlagpunkte und erstmals auch Helme mit montierten Kommunikationssystemen – ein deutlicher Gewinn bei der realen Unfallperformance.
Muss ich meinen alten Helm wegen der neuen Norm ersetzen?
Nein. Eine neue Norm ist kein Austauschgrund. Entscheidender sind Alter und Zustand des Helms. Nach fünf bis sieben Jahren verliert der EPS-Schaum seine Dämpfungsfähigkeit. Ein technisch gealterter Helm schützt schlechter – unabhängig von 22.05 oder 22.06.
Warum sind viele ECE-22.06-Helme etwas schwerer?
Um die strengeren Tests zu bestehen, benötigen 22.06-Helme robustere Schalen und dichtere Dämpfungsschichten. Dadurch steigt das Gewicht meist um 50–100 Gramm. Viele Hersteller kompensieren das jedoch mit besserer Aerodynamik und optimierter Gewichtsverteilung.
Wie erkenne ich, welche Norm mein aktueller Helm hat?
Auf dem Kinnriemen befindet sich ein kleines weißes Etikett mit einem Kreis und der Kennung „E“. Die Nummer dahinter verrät den Standard. „05“ steht für ECE 22.05, „06“ für ECE 22.06. Dieser Code ist die verlässlichste Identifikation.
Kann ich einen neuen 22.05-Helm noch kaufen?
Neuware darf nicht mehr produziert werden, aber Restbestände (Restposten) dürfen weiterhin verkauft werden. Diese Helme sind legal, neu und voll nutzbar. Viele Shops bieten aktuell starke Rabatte, weil Lagerware abverkauft wird.
Ist ein günstiger 22.05-Restposten oder ein neuer 22.06-Helm die bessere Wahl?
Beides kann sinnvoll sein. 22.05 bietet oft hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis, 22.06 bringt modernere Sicherheitstechnologien. Wenn dein Helm ohnehin älter wird, lohnt ein Upgrade. Bei knappem Budget ist ein hochwertiger 22.05-Restposten eine gute Option.






